Körperlich da, mein Geist noch etwas verschlafen mache ich mich auf ins Fitnessstudio. Zum Aufwärmen geht es mal eine halbe Stunde auf den Hometrainer. Treten an Ort ist angesagt. Da strampelst du deine Kilometer ab und kommst keinen Zentimeter vorwärts. Das ist genau das, was ich mir für mein Leben nicht wünsche!
Für gewöhnlich nehme ich ein Buch mit, da es sich beim Fahrrad fahren doch tatsächlich gut lesen lässt – immerhin etwas, wenn man schon nicht vom Fleck kommt. Buch vergessen. Jä nu ... so blättere ich etwas lustlos in einer Zeitschrift. Einmal mehr merke ich, dass es mich keineswegs interessiert, was da alles über die (Cervelat-)Prominenz geschrieben wird. Lange bevor meine Einwärmzeit abgelaufen ist, lege ich die Zeitschrift zurück. Lasse meinen Gedanken freien Lauf. Diese werden jedoch unterbrochen, denn ich höre ziemlich ungewollt, was meine Mitstramplerinnen so plaudern.
Zwei ältere Damen sitzen neben mir. Älter darf ich wohl schon sagen, da sie schätzungsweise 25 – 30 Jährchen mehr Lebenserfahrung in die Pedale legen.
Über ein Konzert am Wochenende wird ausgiebig referiert, der Dirigent hat sie wirklich beeindruckt. Eine Sängerin (von besagtem Konzert) gesellt sich zu den Damen, nimmt Komplimente entgegen, erläutert wie schwierig es war (gefolgt von ooohs, uns aaahs von den stampelnden Damen) und überhaupt – und es wird gefachsimpelt. Als das Thema seinen Reiz verloren hat – es gab da kaum etwas zu kritisieren, wird ein neues Thema, wo es wesentlich mehr auszusetzen gibt, aufgegriffen. Jetzt wird’s spannend: es geht um den Gottesdienst vom Sonntag. Ja, die Frau Pfarrer müsse sich nicht wundern, dass immer weniger Leute die Gottesdienste besuchen... Jetzt war mein Interesse geweckt. Ja wer weiss, vielleicht kann ich ja etwas lernen.
Nebst dem was im Kirchenchor alles nicht so optimal läuft wurde über die Taufe von gestern berichtet. Kinder die sich ganz ungezogen verhalten – eh eh liebe Eltern, könnt ihr nicht schauen, dass eure Kleinen mal während einer Stunde, einer mickrigen Stunde keinen! Mucks von sich geben? Das haben Eltern und Kinder am letzten Sonntag in der Kirche nicht geschafft, was meine Hometrainer-Nachbarinnen sichtlich (also für mich eher hörbar! als sichtbar) gestört hat. Manchmal vergessen Leute einfach, dass Kinder nicht eine Batterie haben die man bei Bedarf rausnehmen kann. Vergessen wird dazu oft, dass man selber einmal Kind war. Gut, sich an dieser Stelle an die „Ich-war-auch-mal-ein-Kind-Zeit“ zu erinnern, würde ja der Ktitik den Boden unter den Füssen weg reissen – was wiederum heissen würde, dass darüber nicht gelästert werden könnte. Kinder sind Kinder. Das ist gut so! Da sich die Damen nicht an ihre „ich-war-auch-mal-ein-Kind-Zeit“ erinnert haben, wurde das ausgiebig diskutiert.
Wikipedia: Eine Diskussion (Erörterung, Zwiegespräch, lateinisch discussio: "Untersuchung, Erörterung, Verhandlung") ist ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Diskutanten, in dem meist über ein oder mehrere bestimmte Themen gesprochen (diskutiert) wird, wobei jede Seite ihre Argumente vorträgt. Als solche ist sie Teil zwischenmenschlicher Kommunikation.
In diesem Sinne war es wohl eher ein einander Recht geben, da nicht mehrere Argumente oder Ansichten an den Tag gebracht wurden. Dieses Thema wäre geschafft.
Weiter geht’s. Achtung Frau Pfarrer – jetzt wird ihre Predigt unter die Kritiklupe genommen. Ich versuche hier den ziemlich genauen Wortlaut wieder zu geben. Ehrlich! „Wer hat schon jemals etwas von einem Nikodemus gehört? Über so etwas Unbekanntes spricht man doch nicht. Jetzt aber ehrlich! Und überhaupt, von dem vielen Nikotin in der Predigt wurde mir beinahe schlecht!“
Hoppla! Von diesem Nikotin-Satz bekam ich beinahe einen Hustenanfall, und ich hatte meine liebe Mühe mein Gesicht im Griff zu halten – sonst hätte ich laut losgelacht. Ein Sturz vom Hometrainer wäre auch etwas ungewöhnlich gewesen, hätte aber angesichts dieses Satzes tatsächlich fast passieren können.
Hm, wenn plötzlich das Nikotin angerannt kommt, um Jesus Verständnisfragen zu stellen – ja gut, dieser Aspekt wäre dann doch wieder interessant.
Also, liebe Frau Pfarrer: Bitte bei neuen Geschichten die Leute gut vorbereiten und alles, wirklich alles erklären. Wenn Nikodemus mit Nikotin verstanden wird, dann wird es wirklich schwierig, den Sinn der Geschichte auf den Punkt zu bringen.
Die Frauen sind sich einig und sie treten fröhlich weiter – dies an Ort und Stelle.
Ich für meinen Teil habe mich 30 Minuten innerlich und äusserlich aufgewärmt – und nächstes Mal vergesse ich mein Buch nicht!

